„Präzise und detailliert schildert Michael Kleeberg Karlmanns Abgesang aus der gewohnt übergeordneten Erzählinstanz, die manchmal ganz nah an seine Hauptfigur rückt, wieder auf Abstand geht und manchmal sogar die Leser direkt anspricht. Kleeberg verfügt über einen scharfen Blick auf gesellschaftlich relevante Strömungen, von AfD über Corona-Impf-Skeptizismus bis zur Wokeness-Thematik. Mit seiner „Karlmann“-Trilogie hat der in Berlin lebende Schriftsteller eines der bedeutendsten gesellschafts- und zeitgeschichtlichen Werke bundesrepublikanischer Literatur verfasst. „
16.10 Uhr Jörg Magenau über „Dämmerung“
„Michael Kleeberg liefert die boshaft-präzise Studie einer alternden Gesellschaft und einer selbstvergessenen Generation. Das Geburtstagskapitel ist furios erzählt, glänzend geschrieben, voll
entlarvender Beobachtungen und erhellender Gedanken.“
“ Kleeberg ist als Übersetzer aus dem Französischen erkennbar bei Marcel Proust in die Lehre gegangen. Allerdings hat er die kapriziöse Distinguiertheit Prousts durch die Lektüre amerikanischer Romane von John Updike oder Philipp Roth mit einer ironisch grundierten Grobheit gegerbt. Stilprägend ist dabei die Instanz des Erzählers, der als beweglicher Geist über allen Wassern schwebt. Mal mischt er sich in der Ich- oder Wir-Form ein, mal spricht er seine Figur als Du direkt an, scheut aber auch nicht die Rolle des allwissenden Erzählers, der Charlys Gedanken wiedergibt.“
„Den Stillstand der Coronajahre erfasst Kleeberg meisterlich, indem er ein Kapitel einschiebt, in dem es darum geht, die Ereignislosigkeit auszuhalten. Es beginnt mit einer großartigen Beschreibung des Frühlings, der im Jahr 2020 vielleicht deshalb so überaus herrlich unter einem kristallklaren Himmel erblühte, weil sonst so wenig geschah. Von da aus steigert sich
die Stimmung in den von sozialen Medien und Verschwörungsanhängern angeheizten Irrsinn hinein, indem sich widersprechende Theorien, absurde Ängste und demonstrative Ignoranz allmählich jede Wahrheit von innen aushöhlen, bis sogar der gute Charly nicht mehr weiß, was er glauben soll.
Überhaupt die Porträts! All die Figuren, die im Lauf des Romans auftauchen und sich zum Gesellschaftspanorama addieren: die Bischöfin mit der „eigenartig verklumpten Legierung aus Religiosität und Egozentrik“ etwa, die die Rede bei der Beerdigung von Charlys Vater hält. Oder die Junior-Chef-Generation, die den verdienten Mitarbeiter Karlmann Renn nach
25 Jahren mit warmen Worten in den Ruhestand schickt. Oder die in einer
drogenverhangenen Pubertät verlorengehende Tochter Luisa.“
Das alles ist so klug wie komisch, so tiefgreifend wie unterhaltsam, so einfühlsam wie mitleidslos, so ausschweifendwie exakt komponiert. Michael Kleeberg hat mit „Dämmerung“ einen großen, meisterhaften Gesellschaftsroman geschrieben. Die zeitdiagnostische Karlmann-
Trilogie gehört zum unverzichtbaren Bestand der Gegenwartsliteratur.“
„Abschied von Charly Renn aka Karlmann, dem Michael Kleeberg nun den dritten und auch letzten Roman widmet. Zum 60. Geburtstag seines Helden lässt Kleeberg diesen ein großes Fest feiern und Bilanz ziehen, die nicht nur eine persönliche ist, sondern naturgemäß auch die der Epoche. Im Wechsel zwischen erster und dritter Person meldet Kleeberg den Anspruch individueller wie gesellschaftlicher Gültigkeit an, und das gelingt unter anderem deshalb, weil Kleeberg seine Figur ebenso ernstnimmt wie dessen Wahrnehmungen. Hier wird nichts vorgeführt, sondern alles ist einer präzisen Betrachtung unterworfen.Die Corona-Pandemie kommt ins Spiel, der Krieg in der Ukraine, aber auch mit heftigen MeToo-Vorwürfen ist Charly konfrontiert. Darüber hinaus hat er Ärger mit dem Erbe, das sein Vater ihm hinterlassen hat, und mit seiner Tochter, für die er ein Fremder ist. „Durch alle möglichen Scheußlichkeitsmühlen“, so formuliert der Autor selbst es, hat er seine Figur gedreht, weswegen der Roman fairerweise dann auch der Hauptfigur selbst gewidmet ist. Immerhin hat sie all das heldenhaft überlebt. Knapp vierzig Jahre bundesrepublikanischer Zeitgeschichte laufen in Kleebergs „Karlmann“-Romanen nebenher mit. Ein deutscher Rabbit sozusagen. Ein Durchschnittsmann, der nicht liest und der insgesamt von Kultur eher abgeschreckt ist. Ist er ein Opportunist? Ein Widerling gar? Oder ein Jedermann? Zumindest ein Mann, dessen Zeit, wenn man sich draußen so umhört, eigentlich abgelaufen sein müsste. Umso besser, dass er durch und mit Michael Kleeberg noch einmal zu großer Form aufläuft.“
Der Abschlussband der Karlmann-Trilogie
Tobias Rapp im Spiegel:
Kleebergs Kunst liegt in seiner ziemlich einzigartigen Gabe zur reflektierten Einfühlung – man steckt immer gleichzeitig drin in diesem Charly Renn und betrachtet ihn von außen. So ist ihm gelungen, was es in der Literatur nur selten gibt: aus dem Leben einer Figur das Abbild einer Epoche zu erschaffen.
Erhard Schütz im Tagesspiegel:
Wohl keiner der aktualaktivistischen Romane der letzten Jahre hat eine so tiefgehende Bilanz des Lebens, nicht nur das des Protagonisten, sondern schlechthin für unsere Gegenwart gezogen, aus tragischen und komischen, banalen und existentiellen Momenten eine so tiefe Lebensdurchdachtheit heraufbefördert.
Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung:
Mit „Dämmerung“ legt Kleeberg nach „Karlmann“ und „Vaterjahre“ den dritten Teil seiner Karlmann-Trilogie vor, mit der er vierzig Jahre Sozialgeschichte der alten und der neuen Bundesrepublik abdeckt, ein hierzulande beispielloses Projekt.
Sucht man nach Vergleichbarem, bietet sich am ehesten John Updikes „Rabbit“-Serie an.
Ulrich Steinmetzger im Mannheimer Morgen:
Nun ist der Plan erfüllt in größter Opulenz und Wucht und im Windschatten weltliterarischer Ahnen wie Proust, Stifter oder Thomas Mann. Nach „Karlmann“ und „Vaterjahre“ (2014) liegt mit „Dämmerung“ der letzte Band der knapp 1500-seitigen Trilogie vor, in der die Jahre des Be- rufslebens dieses Karlmann Renn von 1985 bis in unsere unmittelbare
Gegenwart geschildert werden in einer Sprachgenauigkeit, wie sie in un-
serer Literatur ihresgleichen sucht.
Der Titel „Glücksritter“ ist die einzige ironische Volte des Buches. Ansonsten ist der Ton behutsam, dem Subjekt seiner Neugier zugewandt, suchend, weder anklagend noch exkulpierend. Es gibt nichts zu enthüllen, aber einiges zu entdecken. Und gerade dahin liegt die Freiheit dieser Prosa, die sich verweigert, etwas zu „zeigen“, zu „demaskieren“ oder anzuklagen. Stattdessen wird erzählt und manchmal auch heraufbeschworen. Wer Kleebergs Generation angehört, wird so manches wiedererkennen. Und einiges neu sehen. En passant gelingen unterschwellig interessante Generationenskizzen, wie man sie ähnlich beispielsweise in Kleebergs „Karlmann“-Romanen schon kennt. Ja, „Glücksritter“ ist ein wunderbares, ein zutiefst wahrhaftiges, grandioses Buch.
Lothar Struck in „Glanz und Elend“, 20.8. 2020
Hier findet ihr meine Lektüretipps
Stefan Höppner in Literaturkritik.de
Dezember 2019
Wenn sich Literatur heute vom Divan inspirieren lässt, dann nicht, um aus der Gegenwart zu fliehen, sondern um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dies gilt auch für Michael Kleebergs Roman Der Idiot des 21. Jahrhunderts und die Gedichtsammlung A New Divan, Read the rest of this entry »
Heimat – ein Deutscher Mythos
Vortrag, am 9. November 2018 auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung gehalten im Zukunftsmuseum von Rio de Janeiro